15.05.2023 – VON ROUVEN GROß
Dannenberg. Das mutwillige Zerstören von Wahlplakaten ist in Deutschland strafbar, Sachbeschädigung heißt der Straftatbestand, wer dessen schuldig gesprochen wird, muss mit einer Geldstrafe oder bis zu zwei Jahren Gefängnis rechnen. Um ein solches Vergehen ging es am Montagmorgen im Saal 101 des Dannenberger Amtsgerichtes, angeklagt war ein 45 Jahre alter Lüchow-Dannenberger, der im Herbst vergangenen Jahres nahe Luckau ein Wahlplakat der Partei Bündnis 90/Die Grünen beschädigt hatte. Das räumte er vor Gericht auch ein – verurteilt wurde er aber dennoch nicht: Das Amtsgericht stellte das Verfahren gegen den arbeitslosen Mietkoch gegen Zahlung einer Geldauflage ein. Und Amtsrichterin Anna Kaiser gab dem Angeklagten Gelegenheit, eine sehr umfangreiche Stellungnahme zu dem „Warum“ seiner Tat abzugeben.
„Wir zahlen nicht für Eure Kriege“
„Wir zahlen nicht für Eure Kriege“ hatte Johannes D. an einem Septembermorgen im vorigen Jahr auf ein großes Grünen-Plakat an einer vielbefahrenen Straße im Lüchow-Dannenberger Südkreis geschrieben. Außerdem „can’t pay – wont pay“, also „kann nicht bezahlen – will nicht bezahlen“. Dazu hatte er einen roten Stern auf das Plakat gemalt, versehen mit dem Schriftzug „Bündnis 22 – die Chaoten“. Die Polizei erwischte ihn, der Vorstand des Landesverbands Niedersachsen der Grünen stellte Strafantrag. Die Staatsanwaltschaft erließ einen Strafbefehl über eine Geldbuße zur Bewährung, mit der Auflage, längere Abwesenheiten von seinem Wohnsitz zu melden.
Gegen diesen Strafbefehl legte Johannes D. Widerspruch ein, sodass es nun zu der Verhandlung vor dem Dannenberger Amtsgericht kam. Unmittelbar vor Verhandlungsbeginn hatten sich die Anwältin des Angeklagten, die Staatsanwaltschaft und das Gericht allerdings auf eine Einstellung des Verfahrens geeinigt, gegen eine Zahlung von 300 Euro an die Euthanasie-Gedenkstätte an der Psychiatrischen Klinik Lüneburg. Sollte Johannes D. die 300 Euro binnen sechs Monaten nicht vollständig zahlen, werde das Verfahren gegen ihn wieder aufgenommen, betonte Richterin Kaiser.
„Schuldig im Sinn herrschender Gesetze“
In einer Stellungnahme, die Johannes D. verlesen durfte, bezeichnete er das Verfahren gegen sich als „repressive Maßnahme“, und betonte, dass er vor Gericht stehe, weil er das so wolle. Ihm gehe es nicht um eine mildere Strafe, sondern darum klarzustellen, dass es in dem Verfahren darum gehe, jene „mundtot zu machen, die gegen die aktuelle Kriegspolitik sind“. Seiner Ansicht nach gehe es darum, den „Heiligen Gral“ kapitalistischer Systeme, nämlich das Eigentum, zu schützen, was „lächerlich“ sei. „Ich bin schuldig im Sinne der herrschenden Gesetze“, betonte Johannes D. Er stellte aber zugleich heraus, dass er seine Tat als „zivilen Ungehorsam“ empfinde, mit dem er demonstrieren wolle, dass er nicht übereinstimme mit „der herrschenden Kriegspolitik, Aufrüstung und Militarisierung“. Der „oliv-grünen Partei“, wie D. die Grünen in Anspielung auf die Farbe früherer Bundeswehr-Uniformteile und -Fahrzeuge bezeichnete, warf er vor, mit „Kriegsrhetorik“ und einer „gleichgeschalteten Presse“ einen Krieg zu befeuern, der nur davon ablenken solle, dass das kapitalistische System am Ende sei. Russlands Einmarsch in der Ukraine sei durch nichts zu rechtfertigen, aber die Schuld an dem Krieg habe dennoch auch der Westen, die NATO, da diese unter anderem „die Ukraine aufgerüstet habe als Frontstaat gegen Russland“. Zudem werde im Westen verschwiegen, dass es in der Ukraine Nationalisten und Faschisten gebe, die unter anderem Pogrome an Sinti und Roma begangen hätten.
Johannes D. konnte seine Erklärung frei von Unterbrechungen vortragen, trotz der Tatsache, dass er mehrfach Begriffe wie „beschissen“, und „Scheiß“ verwendete, was vor Gericht durchaus einen Ordnungsruf nach sich ziehen kann. Nach dem rund 30-minütigen Monolog erklärte Richterin Kaiser die Einstellung des Verfahrens. Johannes D. zeigte sich erleichtert und stellte klar, dass er sowohl von der Polizei als auch vom Staatsanwalt und dem Gericht „sehr fair behandelt“ worden sei. Anschließend formierte sich aus Unterstützer/innen des Angeklagten ein angemeldeter Protestzug vom Amtsgericht zum Marktplatz, an dem sich rund 40 Menschen beteiligten. Die Polizei begleitete den Zug, zu Zwischenfällen kam es nicht. rg